Bei einem Kaiserschnitt beginnt die Geburt und damit der Anwendungsbereich der Tötungsdelikte regelmäßig mit der Eröffnung des Uterus zum Zweck der dauerhaften Trennung des Kindes vom Mutterleib.
In dem Beschluss des Bundesgerichtshofs vom 11. November 2020 (5 StR 256/20) ging es um einen Fall, in dem die zwei Angeklagten – zwei fachlich versierte Geburtsmediziner – im Rahmen eines Kaiserschnitts nach Öffnung der Gebärmutter und Geburt eines gesunden Zwillings den verbliebenen schwer geschädigten Zwilling durch Injektion von 20 ml Kaliumchloridlösung in die Nabelvene töteten. Hintergrund war, dass bei dem getöteten Zwilling schwere Behinderungen (motorische Störungen, Lähmungen, Spastiken und deutliche kognitive Einschränkungen) zu erwarten gewesen wären und der gewünschte Fetozid vorher nicht hatte durchgeführt werden können. Der Bundesgerichtshof bestätigte das Urteil des Landgerichts Berlin, das die beiden Angeklagten jeweils wegen Totschlags verurteilt hatte. In seinem Urteil führte der Bundesgerichtshof aus, dass der getötete Zwilling im Zeitpunkt der tödlichen Einwirkung bereits ein Mensch und nicht mehr eine lediglich von §[nbsp]218 StGB (Schwangerschaftsabbruch) geschützte Leibesfrucht sei. Die Abgrenzung zwischen den Vorschriften der Tötungsdelikte (§§ 211 ff. StGB) und der des Schwangerschaftsabbruchs (§[nbsp]218 StGB) werde seit jeher vom Beginn der Geburt abhängig gemacht. Da bei einem Kaiserschnitt die Eröffnung des Uterus – in vergleichbarer Weise wie beim Beginn einer natürlichen Geburt – ein Abbruch des begonnenen Geburtsvorgangs regelmäßig praktisch nicht mehr in Betracht kommt, liege der Beginn der Geburt beim Kaiserschnitt im ersten Schnitt des Operateurs zur Eröffnung der Bauchdecke. Die Angeklagten haben sich daher durch die Durchführung des Kaiserschnitts zwecks Tötung des im geöffneten Uterus liegenden Zwillings wegen Totschlags strafbar gemacht.